Gefahrstoffe

Substitutionsprüfung Gefahrstoffe

Ihr Leitfaden rund um die Entscheidung für oder gegen Ersatzstoffe. Professionalisieren Sie Ihr Gefahrstoffmanagement!

6 Minuten19.01.2023

Stop!

Bevor Sie tiefer in das Thema Substitutionsprüfung einsteigen, sollten Sie sich das vierstufige STOP-Prinzip aus dem Arbeits- und Gesundheitsschutz zur Priorisierung von Schutzmaßnahmen in Erinnerung rufen. Bei diesem Prinzip steht die Substitution an einer ganz bestimmten Stelle in der Rangfolge: an der ersten. Das Akronym STOP steht für „Substitution“, „Technische Maßnahmen“, „Organisatorische Maßnahmen“ und „Persönliche Maßnahmen“.

Im Umgang mit Chemikalien ist das nicht anders. Die Substitution von Gefahrstoffen stellt unter allen Schutzmaßnahmen die wirkungsvollste dar. Bedeutet dies, dass Unternehmen zur Substitution verpflichtet sind? Dieses weitverbreitete Missverständnis wird im Folgenden aufgeklärt. Außerdem erfahren Sie Schritt für Schritt, wie Sie mithilfe des GHS-Spaltenmodels systematisch entscheiden, wann und wie Sie Gefahrstoffe substituieren.

Besteht eine Substitutionspflicht?

Besteht eine Substitutionspflicht? Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Nein. Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) sieht keine verpflichtende Substitution von Gefahrstoffen vor. Allerdings schreibt das Regelwerk gemäß Paragraf 6 Absatz 4 verbindlich vor, dass im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die Möglichkeiten einer Substitution beurteilt werden müssen. Daher sind die Prüfung einer möglichen Substitution und die Dokumentation der Prüfungsergebnisse gesetzlich verpflichtend. Das Ergebnis dieser Prüfung könnte jedoch durchaus sein, dass eine Substitution nicht erforderlich oder möglich ist.

Aber gilt das auch für besonders gesundheitsgefährdende Gefahrstoffe, wie beispielsweise CMR-Stoffe der Kategorien 1A oder 1B oder akut toxische Stoffe der Kategorie 1? Die Antwort lautet wiederum: Ja. Wobei es in diesen Fällen eine zusätzliche Bestimmung gibt: Die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS 600) schreibt vor, dass bei diesen Stoffen eine Substitution „vorrangig“ durchzuführen ist. Die Alternativen müssen jedoch „technisch machbar und zu insgesamt geringeren Gefährdungen führend“ sein. Somit kann auch bei diesen Stoffen die Prüfung der Substitution ergeben, dass eine solche nicht realisiert wird.

Substitutionsprüfung Gefahrstoffe

Die Substitutionsprüfung ist ein verpflichtender Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung und muss zwingend vor der Einführung und Verwendung eines Gefahrstoffs erfolgen. Dabei wird geprüft, ob ein Ersatzstoff oder ein alternatives Verfahren infrage kommt, das weniger bedenklich ist und ein insgesamt geringeres Risiko für die Gesundheit und Umwelt mit sich bringt. Die Durchführung der Substitutionsprüfung darf ausschließlich von fachkundigen Personen vorgenommen werden. Fachkundig können insbesondere Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder Betriebsärztin oder Betriebsarzt sein. Und nicht zu vergessen: Die Ergebnisse der Prüfung müssen dokumentiert werden. Detaillierte Vorgaben zur Substitutionsprüfung sind in der TRGS 600 festgeschrieben.

Wann müssen Unternehmen eine Substitutionsprüfung durchführen?

Eine Substitutionsprüfung muss immer dann erfolgen, wenn im Unternehmen mit Gefahrstoffen gearbeitet wird und aus diesem Grund spezielle Schutzmaßnahmen erforderlich sind, die über die allgemeinen Schutzmaßnahmen gemäß Paragraf 8 der Gefahrstoffverordnung hinausgehen. Mit anderen Worten: Auf eine Substitutionsprüfung kann nur dann verzichtet werden, wenn eine geringe Gefährdung besteht.

Was ist das Ziel jeder Substitutionsprüfung?

Dank der Substitutionsprüfung Gefahrstoffe soll das Risiko der Exposition gegenüber toxischen, reizenden, explosiven oder anderweitig gefährlichen Stoffen minimiert werden. Vordergründiges Ziel ist es, arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen und Umweltschäden zu vermeiden.

Umsetzung der Substitutionsprüfung mithilfe des GHS-Spaltenmodells

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Substitutionsprüfung Gefahrstoffe durchzuführen und die Ergebnisse zu beschreiben. Eine Option ist die Prüfung nach dem sogenannten GHS-Spaltenmodell. Dabei werden die Gefahrenpotenziale der bisher eingesetzten Gefahrstoffe und die Gefahrenpotenziale der möglichen Ersatzstoffe gegenübergestellt und miteinander verglichen. Bei der Gegenüberstellung wird der Grad der Gefährdung verglichen, also

  • gering
  • mittel
  • hoch oder
  • sehr hoch

sowie die Art der Gefahr, nämlich

  • Gefahr für die Gesundheit
  • Gefahr für die Umwelt
  • Brand- und Explosionsgefahr
  • Gefahr, die durch das Freisetzungsverhalten entsteht oder
  • Gefahr, die von dem Verfahren ausgeht.

Anhand der H-Sätze nach CLP-Verordnung lassen sich die Gefahren der Stoffe und die entsprechenden Alternativen einstufen und gegenüberstellen. Dank der Gegenüberstellung lässt sich ermitteln, ob das Gefahrenpotenzial durch die Ersatzstoffe oder alternativen Verfahren insgesamt vermindert werden kann.

Diese Durchführung der Substitutionsprüfung anhand von H-Sätzen nach CLP-Verordnung wird in der TRGS 600 näher erläutert. Daneben liefert auch das Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung detaillierte Handlungsanweisungen mit anschaulichen Erläuterungen. 

Ersatzstoff ja oder nein – wie entscheide ich?

Die Frage, die sich in der Praxis häufig stellt, nachdem im Rahmen der Substitutionsprüfung die Gegenüberstellung durchgeführt wurde, lautet: Soll ich, oder muss ich den Stoff nun substituieren? Und wie entscheide ich das? Ausschlaggebend ist die Gefährdung insgesamt, denn es kann sein, dass der Ersatzstoff eine höhere Gefahr beim Freisetzungsverhalten mit sich bringt, dafür aber die Gefahr für Gesundheit und Umwelt deutlich senkt.

Die Entscheidung hängt immer auch von dem Umfeld und dem Verfahren ab, in dem der Stoff zum Einsatz kommt. Verantwortlich für die jeweils individuelle Entscheidung ist der Arbeitgeber.Bei der Entscheidung kann er sich fachkundig beraten lassen, z.B. durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Das sieht auch die Gesetzgebung in Form des Regelwerks TRGS 600 vor: Wenn der potenzielle Ersatzstoff in einigen Spalten des GHS-Spaltenmodells eine geringere, aber in einer oder zwei Spalten eine höhere Gefahrstufe aufweist, dann obliegt es dem Verwender zu beurteilen, welche Gefahreneigenschaften bzw. Spalten im konkreten Fall stärker gewichtet werden.

TRGS 600

Die TRGS 600 ist die übergreifende Regel für Gefahrstoffe in Deutschland, welche die allgemein gültigen Vorgaben bzgl. der Substitution beschreibt. Damit unterstützt die TRGS 600, sichere Tätigkeiten mit Gefahrstoffen am Arbeitsplatz zu gewährleisten und Risiken messbar zu reduzieren.

Die TRGS 600 bietet auch Handlungshilfen für die Durchführung der Substitutionsprüfung von Gefahrstoffen. So beschreibt sie die Substitutionsprüfung anhand des GHS-Spaltenmodells und liefert detaillierte Handlungsempfehlungen.

Substitutionsprüfung in der Praxis: Prioritäten setzten und systematisch vorgehen

Eine Substitutionsprüfung ist Pflicht und kann nur in Ausnahmefällen entfallen. Aufgrund einer hohen Anzahl von Stoffen an vielen Arbeitsplätzen würde die Durchführung von Substitutionsprüfungen für alle Stoffe enorme personelle Ressourcen binden.

Wie geht man also mit der Pflicht zur Substitutionsprüfung für alle Gefahrstoffe um, wenn mit einer großen Anzahl an Stoffen gearbeitet wird? In solchen Fällen empfiehlt sich ein Blick auf Ihr Gefahrstoffverzeichnis, um die Gefahrstoffe unter Betrachtung ihres Gefährdungspotenzials zu priorisieren. Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) gibt hier folgende Hilfestellung:

  • Priorität #1: § 10 sieht besondere Maßnahmen für CMR-Gefahrstoffe, Kategorie 1A oder 1B vor – also alle Gefahrstoffe, die mit den H-Sätzen 340, 350, 350i oder 360 gekennzeichnet sind. Auf diesen Gefahrstoffen sollte zuerst der Fokus liegen.

  • Priorität #2: Einen Hinweis darauf, welche Gefahrstoffe als nächstes in den Blickpunkt rücken sollten, liefert § 9 der Gefahrstoffverordnung. So empfiehlt es sich, Prozesse und Verfahren zu beleuchten, bei denen zusätzliche Schutzmaßnahmen notwendig sind – zum Beispiel bei Prozessen, bei denen es Grenzwert-Überschreitungen gibt und die Beschäftigten mit einer Atemschutzmaske arbeiten müssen.

  • Priorität #3: Schließlich lohnt ein Blick auf die Stoffe, die im Betrieb in besonders großen Mengen zum Einsatz kommen oder ggf. sogar den Hauptteil der verwendeten Gefahrstoffe ausmachen. 

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Die Herausforderungen bei der Substitution

Die Substitution von Gefahrstoffen ist aufwendig. Schließlich werden eingespielte Verfahren ständig auf den Prüfstand gestellt und Stoffe ersetzt, mit denen man eine auf dem Markt akzeptierte Qualität erzielt. Die Substitution bringt zudem auch neue oder geänderte Genehmigungsverfahren für die neuen Stoffe und Verfahren mit sich. Genauso wie Anpassungen im Rahmen des Arbeitsschutzes – angefangen bei der entsprechenden Anpassung der Gefährdungsbeurteilung über die Aktualisierung des Gefahrstoffverzeichnisses bis hin zur Überarbeitung der Unterweisungen.

Die Vorteile der Substitution

Auch wenn die Substitution mit Aufwand verbunden ist – am Ende kann sie jede Menge Arbeit und Kosten einsparen. Denn: Der Einsatz bestimmter Gefahrstoffe ist mit umfangreichen und kostenintensiven Schutzmaßnahmen verbunden. Werden sie substituiert, entfallen unter Umständen manche dieser Maßnahmen– wie zum Beispiel im Fall von krebserzeugenden Stoffen der Kategorie 1A oder 1B. Nach ihrer Substitution durch passende Ersatzstoffe können folgende Maßnahmen eingespart werden:

  • Die Anwendung der TRGS 910 (sog. „geeignetes risikobezogenes Maßnahmenkonzept“)
  • Das Abgrenzen der entsprechenden Gefahrenbereiche
  • Das Anbringen entsprechender Warn- und Sicherheitszeichen
  • Das Verbot der Rückführung abgesaugter Luft in den Arbeitsbereich
  • Das Führen eines aktualisierten Verzeichnisses über Beschäftigte, wenn die Gefährdungsbeurteilung eine Gefährdung der Gesundheit oder der Sicherheit der Beschäftigten ergibt.
  • Aufbewahrung des o.g. Verzeichnisses 40 Jahre nach Ende der Exposition
Erfolgsgeschichte DMK-Group

"Mit dem zentralen Gefahrstoffkataster habe ich immer den Überblick über sämtliche Stoffe, die an unseren 19 Standorten verwendet werden. Wenn ich [...] nach einem bestimmten Sicherheitsdatenblatt suchen muss, finde ich es mit wenigen Mausklicks [....]"

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Fazit

Die weitverbreitete Annahme, dass eine Substitutionspflicht besteht, sorgt in vielen Unternehmen für große Verunsicherungen. Aber: Eine Substitutionspflicht gibt es nicht. Die Gefahrstoffverordnung verpflichtet lediglich zu einer Substitutionsprüfung, genauer gesagt, zur Beurteilung der Gefahrstoffe und Überprüfung der Substitutionsmöglichkeiten im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung.

Für deren Durchführung empfiehlt es, zunächst zu priorisieren welche Gefahrstoffe geprüft werden und dann das GHS-Spaltenmodell zu nutzen. Für die Durchführung einer solchen Prüfung ist es ratsam, zunächst die zu prüfenden Gefahrstoffe zu priorisieren.

Die endgültige Abwägung, welche Gefahreneigenschaften schwerwiegender sind und die Entscheidung über eine mögliche Substitution, trifft der Arbeitgeber.

Wenn man sich für eine Substitution entscheidet, kann dies eine Reihe von Folgeprozessen nach sich ziehen, z. B. die Einführung neuer Produkte, Genehmigungsverfahren sowie diverse Aktualisierungen, wie z. B. Gefährdungsbeurteilungen oder Betriebsanweisungen. Aber: Substitution ist essenziell, wenn Unternehmen arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen und Umweltschäden minimieren möchten. Eine gründliche und gut dokumentierte Substitutionsprüfung ist daher ein wertvoller Schritt hin zu einem sichereren und umweltfreundlicheren Arbeitsplatz.

Dr. Birgit Stöffler ist seit über 20 Jahren als Sicherheitsingenieurin in der chemisch-pharmazeutischen Industrie tätig. Über ihr Schwerpunktthema Gefahrstoffe hält sie viele Vorträge, schreibt Artikel in Fachzeitschriften und hat bereits mehrere Fachbücher veröffentlicht. Seit 2015 ist sie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Gefahrstoffe als Sachverständige und Mitglied im dortigen Unterausschuss II (Schutzmaßnahmen).

Quellen

1  Will M, Brauweiler J (2020) Business Continuity Planning. In: Leal Filho W, Marisa Azul A, Brandli L, et al. (eds) Sustainable Cities and Communities. Springer International Publishing, Cham, pp 33–44
2  Will M, Brauweiler J (2020) Business Continuity Planning. In: Leal Filho W, Marisa Azul A, Brandli L, et al. (eds) Sustainable Cities and Communities. Springer International Publishing, Cham, pp 33–44

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