Arbeitsschutz

Behavior Based Safety – Mit konstruktivem Feedback zu sicherem Verhalten

Interview mit Prof. Christoph Bördlein für den Safety Management Trend Report

8 Minuten10.06.2021

Behavior Based Safety (BBS) ist deswegen so beliebt, weil es wissenschaftlich fundiert und sehr effektiv ist. Das Konzept wird im Safety Management Trend Report 2021 als eine der wichtigsten Entwicklungen bewertet. Es ergänzt bisherige Verfahrensweisen im Arbeitsschutz durch proaktive Ansätze und Methoden. Mitarbeitende entwickeln ein ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein und werden in ihrer sicheren Arbeitsweise bestärkt. 

Warum sich Fachkräfte und Führungsverantwortliche von starren Konzepten lösen sollten, welchen Beitrag die Mitarbeitenden leisten können und welche Rolle digitale Hilfsmittel spielen, erfahren Sie im interview mit Prof. Christoph Bördlein. Er ist Psychologe und lehrt an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg-Schweinfurt. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit verhaltensorientierter Arbeitssicherheit, hat mehrere Bücher in diesem Gebiet verfasst und leitet den Zertifikatslehrgang "Spezialist / Spezialistin für Behavior Based Safety (BBS)".

Mit Verhaltenswissenschaft zum Erfolg

Herr Prof. Bördlein, können Sie in ein paar kurzen Worten beschreiben, was Behavior Based Safety ist? 

Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit ist ein Konzept, das stark in der Verhaltenswissenschaft verankert ist. Die Grundlage ist, dass ein bestimmtes Verhalten definiert wird, um es zu beobachten und bei Bedarf zu verändern. Wenn ich jemanden frage „Wie sicherheitsbewusst sind Sie?“, kann die Antwort sehr ungenau sein. Wenn ich aber feststelle, dass sicheres Verhalten sich daran festmachen lässt, dass sich Beschäftigte zum Beispiel beim Hinabgehen einer Treppe am Handlauf festhalten, dann erhalte ich ein objektives Maß, das ich beobachten und auswerten kann. Dieser Messvorgang ist etwas, das sehr bezeichnend ist, nicht nur für Behavior Based Safety, sondern im gesamten Themenkomplex der Angewandten Verhaltensanalyse. 

Und wenn Sie bei einer solchen Messung beobachten, dass nur 20% der Beschäftigten dieses als sicher definierte Verhalten zeigen, wie würden Sie das beeinflussen? 

Hier ist konstruktives Feedback der Schlüssel. Es hilft nichts, nur Kollegen zu ermahnen, die dieses Verhalten nicht zeigen, sondern ich würde alle, die das tun, positiv darin bestärken. Auch Hinweisschilder an dieser Stelle könnten dann helfen. Und über die kommenden Wochen würden wir Ziele und Zwischenziele definieren, die letztendlich ein ausreichendes Maß an Sicherheit gewährleisten können. Hier spielt auch ein weiterer Aspekt von Behavior Based Safety eine große Rolle: das Vorleben. Wenn mehr Kollegen sich des „Problems“ bewusst sind und sich sicherer verhalten, wird das andere dazu motivieren, es ihnen gleich zu tun.  

Sicheres Verhalten systematisch fördern

Das klingt recht simpel. Warum denken Sie, dass es nicht reicht, eine Anweisung zu geben „Alle halten sich bitte am Handlauf fest“? 

Weil es das Problem nicht richtig verständlich macht. Hinweise und auch Strafen motivieren nicht. Das Problem in vielen Organisationen ist: es gibt zu wenig Anerkennung für sicheres Verhalten. Oft ist Sicherheit ja mit einem Mehraufwand verbunden. Wenn die Führungskraft aber nur fragt „Warum hat das so lang gedauert?“, deutet das an, dass dieser Mehraufwand nicht gewertschätzt wird.  

An dieser Stelle setzt Behavior Based Safety an. Es geht nicht darum, diejenigen zu kritisieren, die sich unsicher verhalten, sondern konstruktives Feedback zu geben und diejenigen zu bestärken, die Sicherheit vorleben. BBS ist also die systematische Anerkennung und Wertschätzung für ein sicheres Verhalten, ein sicheres Arbeiten. Mit dieser Anerkennung sind viele Leute bereiter und motivierter auch ein gutes Rollenvorbild für Ihre Kolleginnen und Kollegen zu sein, was wiederum zu einer höheren Motivation bei ihnen führt, sich ebenfalls sicherer zu verhalten. Aber die Menschen müssen dazu wissen, was genau von ihnen verlangt wird.  

Eine Frage der Verantwortung

Und welchen Einfluss haben die Mitarbeitenden bei diesen Zielsetzungen und Definitionen?

Das kommt ganz darauf an. In den Anfängen war Behavior Based Safety ein eher starres Konzept und wurde stark von der Führung her definiert. Wenn wir bei dem Treppenbeispiel bleiben und das vielleicht wirklich das einzige Problem in der Firma ist, mag das auch gut funktionieren. Moderne Arbeitswelten sind aber viel komplexer und Beschäftigte arbeiten viel selbstständiger. Da ist es sinnvoller, BBS-Systeme mehr mitarbeitergetragen zu gestalten, denn letztendlich wissen die Beschäftigten am besten, was sie selbst benötigen, um sicherer zu arbeiten. Diese Perspektive ist zusammen mit der Führungsperspektive sehr wichtig.  

Sie sprechen gerade die Führungskräfte an. Inwiefern ist Behavior Based Safety ein Leadership-Thema?

Das Ja von der Leitung ist genauso wichtig, wie die Einbindung der Beschäftigten von Anfang an. Der Willen zur Kulturveränderung muss von oben kommen, aber von unten getragen werden. Was ich im Bereich BBS als besonders sinnvoll ansehe, ist der sogenannte wertebasierte Ansatz. Hier kann man die Unternehmen wirklich beim Wort nehmen. In ihrem Leitbild steht oft, dass die Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeiter das höchste Gut sind. Ich frage dann: Was folgt denn daraus konkret? Wo kann ich sehen, dass Ihnen das wirklich so wichtig ist? Und dann müssen wir das konkret runterbrechen.

Beobachtungen praktisch und digital umgesetzt

Und wer macht dann die Beobachtungen, die ausgewertet werden? Es ist ja nicht die ganze Zeit ein Forscher wie Sie im Haus und auch die Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder die Führungskräfte können dafür nicht die gesamte Verantwortung tragen. 

Richtig, und das sollen Sie ja auch nicht. Gerade mitarbeitergetragene BBS-Systeme setzen darauf, dass Beschäftigte sich untereinander beobachten. Diese Lernerfahrung müssen sie aber erst einmal machen. Normalerweise gehen sie auf Distanz, wenn sie hören, dass sie beobachtet werden. Dies liegt daran, dass sie im Laufe vieler Jahre erlebt haben, dass das Beobachten von Verhalten häufig zu Kritik oder anderen unschönen Konsequenzen führt. Bei Behavior Based Safety sollen sie merken, dass das Beobachten eine positive Rückmeldung zur Konsequenz hat und sie bestärken, sich sicher zu verhalten. Diese Feedback-Kultur auch unter Kollegen muss Teil des Systems sein.  

Können digitale Hilfsmittel BBS-Systeme unterstützen? 

Ja, auf jeden Fall. Gerade automatische Beobachtungen durch Kamerasysteme oder Wearables können sehr genaue und objektive Messergebnisse bringen. Aber hier müssen auch die psychologischen Auswirkungen bedacht werden. BBS funktioniert nur, wenn die Mitarbeiter dem System vertrauen können. Software und Apps sind auch wichtige Hilfsmittel, weil sie das Dokumentieren von Beobachtungen und die Auswertung erleichtern. Man muss aber immer bedenken, dass es letztendlich das Zwischenmenschliche ist, das Verhaltensänderungen vorantreibt. Es ist einfach anders, wenn mir eine Maschine sagt, ich habe alles richtig macht, als wenn mir das ein Kollege sagt. Insofern sind die Themen Feedbackkultur und Vertrauen entscheidend. 

Prof. Christoph Bördlein hat mehrere Bücher und Artikel zum Thema Behavior Based Safety verfasst. Das Buch „Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit - Behavior Based Safety (BBS)“ (2015, Erich Schmidt Verlag) bietet interessierten Fachkräften eine umfangreiche Grundlage. An der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt leitet er ebenfalls einen Zertifikatslehrgang.  

Prof. Christoph Bördlein, Interview 2021
Prof. Christoph Bördlein
Experte für verhaltensorientierte Arbeitssicherheit

X