Arbeitsschutz, Digitalisierung

Neue Generationen im Arbeitsschutz

Digital und mit modernem Mindset ist das Berufsfeld bereit für einen Generationswechsel

11 Minuten03.06.2021

In absehbarer Zeit gehen die letzten Vertreter der Generation Babyboomer (geboren zwischen 1946 und 1964) in Rente. Bereits 2017 kam die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zu dem Ergebnis, dass es einen zunehmenden Bedarf an zukunftsorientierten Kompetenzen im Bereich Arbeitssicherheit gibt. Ob und wie sich diese Lücke füllt, entscheiden unter anderem die Studien- und Berufsentscheidungen der Generationen Y und Z. Doch passen die Vorstellungen der jungen Berufsanfänger auch zur Arbeitsschutz-Branche? Mit welchen Maßnahmen lassen sich die anspruchsvollen Generationen nachhaltig für die Sicherheit im Unternehmen begeistern?

Im Safety Management Trend Report 2021 teilen elf international renommierte Expertinnen und Experten ihre Einschätzungen zu wichtigen Zukunftstrends der Branche. Ergänzt wird dieser Blickwinkel durch Praxiseinblicke in einer großen Arbeitsschutzumfrage. Die Antworten von mehr als 600 Fachkräften aus ganz Europa lassen Schlussfolgerungen darüber zu, ob das Berufsfeld Arbeitsschutz attraktiv für die Generationen Y und Z ist und welche Weichen noch zu stellen sind, um sich auf die Bedürfnisse der jungen Menschen einzustellen.

Das Ergebnis zeigt: Moderner Arbeitsschutz hat großes Potenzial, die Generationen Y und Z für seine Themen und Arbeitsweisen zu begeistern. Gelingt das, kann er damit nicht nur die Lücke der Babyboomer schließen, sondern mithilfe der jungen, engagierten Expertinnen und Experten angemessen auf z. B. die Herausforderungen der Industrie 4.0 reagieren. Es liegt an den heutigen Geschäftsführern und HSEQ-Fachkräften entsprechende Trends zu erkennen und die Methoden des Arbeitsschutzes sowie die Unternehmenskultur an die Bedürfnisse der jungen Generation anzupassen. Digital und mit modernem Mindset ist das Berufsfeld bereit für einen Generationswechsel.

Was wollen die Generationen Y und Z?

Die Generation Y wurde zwischen 1977 und 1998 geboren. Sie trägt das „Y“ in ihrem Namen nicht ohne Grund: Es steht für „Why“, also „Warum“ und verdeutlicht die Suche nach einem tieferen Sinn, dem diese Generation bei ihren Entscheidungen erste Priorität gibt. In einer Studie „Das Selbstverständnis der Manager von morgen“ beschreibt das Zukunftsinstitut, welche Faktoren der Generation Y bei der Berufs- und Arbeitgeberwahl besonders wichtig sind:

Die Generation Z wurde nach 1998 geboren. Damit sind die ältesten Vertreter dieser Generation heute Anfang zwanzig und befinden sich noch mitten im Studium oder einer Ausbildung. Ein Großteil  besucht zur Zeit die Schule. Die Generation Z ist also noch nicht bzw. noch nicht lange genug auf dem Arbeitsmarkt, als dass die Forschung ihre Anforderungen an ein attraktives Berufsfeld vollständig abbilden könnte. Eine Metastudie des Triple-a-Teams bestätigt aber: Trends und Ansprüche der Generation Y verstärken bzw. radikalisieren sich bei ihren Nachfolgern. Die Universität Bamberg beschäftigt sich in tiefgreifenden Studien heute schon mit den Besonderheiten und Anforderungen der Generation Z bei der Berufswahl. Ausgewählte Fakten Ihrer Studienreihe „Recruiting Talents“ werden – ergänzend zu den Faktoren des Zukunftsinstituts - in der folgenden Auswertung herangezogen.

Anerkennung und Erfüllung im Arbeitsschutz

  • 87% der Generation Y möchte einen Beruf ausüben, der ihnen persönlich sinnvoll und erfüllend erscheint. (Zukunftsinstitut)

  • Über 50% der Generation Z geben Sinnhaftigkeit, 60% Anerkennung als wichtigen Wert bei der Berufswahl an. (Universität Bamberg)

Der persönliche und berufliche Einsatz für mehr Schutz und Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen ist die Grundlage einer zufriedenstellenden, geschätzten Tätigkeit. Bereits vom Grundsatz her erfüllt Arbeitsschutz daher wichtige Anforderungen der jungen Generationen. Die Corona-Krise hat den Berufen im Bereich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz darüber hinaus einen neuen Stellenwert verliehen. Im Durchschnitt gibt die Hälfte der im Rahmen des Trend Reports Befragten an, dass ihr Job und die damit verbundenen Inhalte heute mehr Anerkennung finden.

Wie hat sich die Wahrnehmung von Arbeitsschutz-Themen in Ihrem Unternehmen durch die Corona-Krise geändert?

Abwechslungsreich und herausfordernd

  • 78% der Generation Y möchte einen abwechslungsreichen Job ausüben (Zukunftsinstitut)

Moderner Arbeitsschutz verfügt über einen vielfältigen Aufgabenbereich und eröffnet dabei entsprechende Perspektiven. "Der Beruf ist so besonders, weil er mit allen Teilen einer Organisation verbunden ist. Im Zuge der Corona-Pandemie sind noch weitere Rollen dazugekommen, etwa die des Gesundheitsexperten oder -berater. Diese Vielfalt macht den Beruf für mich zu einem der spannendsten, den es gibt. Viele Fachkräfte bestätigen mir das: „Ja, der Beruf ist hart und anspruchsvoll. Aber er ist auch sehr befriedigend, weil mein Chef mir zuhört“. Aktuell erlebe ich sehr viel mehr Begeisterung für diese Arbeit als früher." (Andrew Sharman, Safety Management Report 2021)

Arbeit im Arbeitsschutz bietet darüber hinaus einen hohen Grad an Verantwortung und ist abwechslungsreich. Neben dem Arbeits- und Gesundheitsschutz wird auch das Thema Nachhaltigkeit eine immer größere und relevantere Rolle spielen. Viele Arbeitsschutzverantwortliche sind als HSEQ-Fachkräfte bereits für Umweltthemen mitverantwortlich. Die Aufgaben in diesem Bereich werden weiter an Relevanz und Umfang gewinnen. Entsprechend positiv fällt die Empfehlung der befragten Fachkräfte, HSEQ-Manager und Sicherheitsbeauftragten aus: Nahezu die Hälfte würde ambitionierten Berufseinsteigern die Arbeit im Gesundheits- und Arbeitsschutz ohne Einschränkungen empfehlen.

Würden Sie Berufe im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz jungen, ambitionierten Berufseinsteigern empfehlen?

Planen und Ziele: Strukturiert zu mehr Sicherheit

  • 82% der Generation Y wünscht sich gute Planung und erfüllbare Ziele (Zukunftsinstitut)

Arbeitsschutz bietet perfekte Rahmenbedingungen für junge Ambitionen, denn Erfolge lassen sich sehr gut in Kennzahlen ausdrücken und steuern. Hinzu kommt aktuell ein spannender Umbruch, mit dem die jungen Generationen sich kritisch auseinandersetzen können. Die Veränderung von Arbeitsmustern und die Sensibilität für mentale Gesundheit haben die Diskussion um bisherige Messverfahren des Arbeitsschutzes in Frage gestellt. Die Suche nach neuen Kennzahlen, mit denen der Erfolg von Arbeitssicherheit greifbar wird, bekommt daher eine zunehmend höhere Relevanz.

Digitalisierung: Mit modernen Mitteln zum Erfolg

Modernste Technologie ist für beide Generationen der „Digital Natives“ eine Selbstverständlichkeit. Arbeitsschutz, der analoge Umwege geht und sich durch Exceltabellen und Papierstapel quält, kann hier nicht punkten. Als Digital Natives (Deutsch: digitale Eingeborene) werden Menschen bezeichnet, die seit ihrer Kindheit mit digitalen Geräten und elektronischen Medien vertraut sind. Sowohl die Generation Y als auch die Generation Z werden daher als Digitale Natives bezeichnet.

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung im Arbeitsschutz stark vorangetrieben. Mehr und mehr Arbeit kann über Software oder Apps am Laptop, Smartphone oder Tablet erledigt werden und es zeigt sich, dass vor allem die jüngeren Fachkräfte im HSEQ-Management diese Möglichkeiten bereits verstärkt nutzen. Die Basis modernen Arbeitsschutz bildet immer häufiger leistungsfähige HSEQ-Software: Sie macht neben den gewünschten Mitteln und Prozessen bei cloudbasierten Anwendungen auch Device-übergreifendes Arbeiten von jedem Arbeitsplatz aus möglich.

Welche digitalen Hilfsmittel spielen im täglichen Arbeitsschutz in Ihrem Betrieb eine wichtige Rolle?

Das Expertengremium des Trend Reports unterstreicht diesen Trend, der den Einstieg der jungen Generation voraussichtlich erleichtern wird: „Die Nachfrage nach einer zentralen Plattform, in der verschiedene HSEQ-Systeme zusammenlaufen und gesteuert werden, wird eine Rolle spielen. Durch den schnellen Zugriff auf alle wichtigen Informationen, Daten und Fakten können Arbeitsabläufe optimiert werden.“

Flexibles Arbeiten

  • 71% der Generation Y wünschen sich flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit auch mal von zu Hause zu arbeiten. (Zukunftsinstitut)

  • 40% der Generation Z nehmen ohne Möglichkeiten zum Home-Office ein Job-Angebot nicht an. 70% sehen in der Work-Life-Balance einen hohen Stellenwert (Universität Bamberg)

Letztendlich ermöglicht die Digitalisierung des Arbeitsschutz-Managements auch eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatem sowie Flexibilität bei der eigenen Lebensgestaltung. Es besteht eine Reihe von anpassungsfähigen Arbeitsmodellen, mit denen z. B. Homeoffice und konventionelle Arbeit miteinander kombiniert werden können – das volle Potenzial dieser Entwicklung ist dabei aber noch nicht vollständig ausgeschöpft. Bisher können immerhin knapp über 60% der im Safety Management Trend Report befragten Fachkräfte einen großen Teil ihrer Arbeit auch im Homeoffice erledigen.

Wieviel Ihrer Arbeit im Arbeitsschutz können Sie remote (ohne persönlich vor Ort zu sein) erledigen?

Zukunftsperspektiven für attraktiven Arbeitsschutz

  • 72% der Generation Y möchte selbstständig arbeiten und wünscht sich flache Hierarchien (Zukunftsinstitut)

Auch wenn es scheint, dass Arbeitsschutz und Sicherheit von sich aus attraktiv für junge Talente sind, ist die Realität komplexer: Die Verantwortlichen für Arbeitssicherheit müssen die beschriebenen Voraussetzungen verstehen, umsetzen und verstärken, damit sie junge Generationen binden können. Starre Arbeitsmodelle oder mangelnde Digitalisierung können dabei genauso abschreckend wirken wie eine veraltete Arbeitskultur.

  • 75% der Generation Y möchte im Beruf viel lernen und sich weiterbilden (Zukunftsinstitut)

Die Experten des Trendreports erkennen die Wichtigkeit von Weiterbildungen für HSEQ-Fachkräfte. Durch die steigenden Anforderungen und Ansprüche an die Verantwortlichen im Arbeits- und Gesundheitsbereich werden Aus- und Weiterbildungen ein großes Thema sein. Der Fokus liegt hierbei auf der Mitarbeiterentwicklung, damit Potential ausgeschöpft und Management- und Führungsfähigkeiten ausgebaut werden können. Wenn Unternehmen auf diesen Trend eingehen, schaffen sie nicht nur bessere Voraussetzungen für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern auch Attraktivität für die kommende Generation im Arbeitsschutz.

Gerade der letzte Punkt zeigt auf, dass auch ein bereits etabliertes HSEQ-Management sich weiterentwickeln muss, damit die Arbeit im Gesundheitsschutz attraktiv für talentierte Berufseinsteiger bleibt. Arbeitsschutzverantwortliche müssen ihre Rolle neu erfinden und etwa im Sinne von Safety Leadership ihre Position als Führungsrolle interpretieren. "Dabei geht es darum, die wesentlichen Werte von Arbeitssicherheit aktiv in die Praxis umzusetzen – und zwar indem wir die betrieblichen Abläufe infrage stellen, an die wir uns alle gewöhnt haben." (Davide Scotti, Safety Management Report 2021) Das stellt gleichzeitig einen Anreiz für junge und zukünftige Mitarbeitende dar, selbst solche Positionen mit Führungskompetenzen anzustreben. Nur so kann es zukünftige qualifizierte Fachkräfte geben, die auf die jetzigen Verantwortlichen folgen, wenn es zum Generationswechsel kommt.

Das Berufsfeld kann und sollte mit einer zukunftsorientierten Ausrichtung junge Talente für die Arbeit begeistern. So positioniert sich die Branche als attraktiver Arbeitsbereich für kommende Generationen und stellt sicher, dass sie den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist.

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